Intelligente Netze nehmen den Zufall aus dem System
Der Vorsprung eines Energiemanagement-Systems gegenüber einer herkömmlichen Heizungssteuerung liegt darin, dass es nicht nur die aktuelle Situation berücksichtigt, sondern auch in die Zukunft schaut. „Der Trick besteht darin, den Zufall aus dem System zu nehmen“, erklärt Karsten Schmidt, Gründer der Münchner Firma Ampeers Energy. Sie bietet ein QEMS an, das zum Beispiel eine Wettervorhersage aus dem Internet nutzt, um abzuschätzen, wie viel Solarstrom in den kommenden Stunden zur Verfügung steht. Außerdem sieht sie sich historische Verbrauchswerte an und kalkuliert, wie viel Energie nötig sein wird, um die Wohnungen auf Temperatur zu halten. Aus diesen Informationen kann das QEMS zum Beispiel ableiten, wie viel Strom in Batterien gespeichert werden muss.
Solche Berechnungen können so viele Unbekannten haben, dass die herkömmliche Mathematik an ihre Grenzen stößt. Dann kommen selbstlernende Algorithmen zum Einsatz, landläufig auch als Künstliche Intelligenz (KI) bekannt. Ampeers Energy setzt eine KI ein, die ununterbrochen Prognosen jeweils für die kommenden sieben Tage, 24 Stunden und 15 Minuten erstellt. Diese Berechnungen übernimmt ein externes Rechenzentrum. Ein einzelner PC vor Ort würde allein für die 15-Minuten-Vorhersage länger als 15 Minuten brauchen – in der Cloud ist sie in 20 Sekunden erstellt.
Und was merkt der Mieter von alldem? „Optimalerweise nichts“, sagt Arne Surmann und lacht. Er arbeitet beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und ist für intelligente Netze zuständig. Surmann begleitet derzeit den Aufbau eines CO2-neutralen Quartiers in Kaiserslautern. Auf dem ehemaligen Gelände der Nähmaschinenfabrik Pfaff sollen Wohnungen und Gewerberäume entstehen, die sich komplett selbst mit Energie versorgen.
Der Wissenschaftler erforscht, wie die Mieter bequem und unkompliziert mit dem Energiemanagement-System interagieren könnte. Seine Idee: Jeder Bewohner bekommt eine App, in der er seine persönlichen Energievorlieben einstellen kann. „Man kann zum Beispiel wählen, ob das eigene E-Auto so schnell oder so günstig wie möglich geladen werden soll“, gibt Surmann als Beispiel.
Manchen Mietern gefällt diese Aussicht nicht. Sie fürchten, dass künftig im Keller des Wohnhauses eine Art Big Brother sitzt, der jede Betätigung eines Lichtschalters und jede Drehung am Thermostat überwacht. Experten halten solche Befürchtungen für unbegründet. „Bei der großen Zahl von Bewohnern ist der genaue Tagesablauf eines Einzelnen für die optimale Betriebsweise gar nicht relevant“, begründet Experte Luck von IAV. Sprich: Ob ein Mieter in den Urlaub fährt und die Heizung abdreht, spielt bei Hunderten von Wohneinheiten kaum eine Rolle. Auf dieser Ebene sind größere Faktoren entscheidend, zum Beispiel ob ein Feiertag vor der Tür steht, weil dann die Mieter alle zu Hause sind und deutlich mehr Strom verbraucht wird als sonst.
Theoretisch könnte das Hirn der Energieversorgung den Mietern auch beim Stromsparen helfen. Scheint die Sonne, würde es zum Beispiel per App empfehlen, jetzt mit der großen Wäsche zu beginnen. Oder es könnte in den Terminkalender der Bewohner schauen und sie am Tag vor dem Urlaub daran erinnern, die Heizung runterzudrehen. Experte Schmidt hält von solchen Ideen allerdings nichts. „Ein gutes Energiemanagement-System nimmt das Leben der Bewohner als gegeben hin. Niemand sollte sich deshalb einschränken müssen.“