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Visualisierung Energiemanagement im Quartier
Städte & Quartiere

Mit intelligentem Energiemanagement zum unabhängigen Quartier

In Zukunft erzeugen Wohnviertel einen Großteil ihres Stroms selbst. Eine intelligente Steuerung und smartes Energiemanagement gleichen dabei Angebot und Nachfrage aus – und bringen die Energiewende zu den Mietern.

Text: Constantin Gillies | Illustration: Linus Zoll



Kann eine Wohnsiedlung im wolkigen Nordeuropa ihre Energie selbst erzeugen? 30 Hausboote im Norden Amsterdams wollen dafür den Beweis antreten. Die Siedlung ist auf maximale Selbstversorgung angelegt: Alle Gebäude haben eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, speichern den Strom in einer Hausbatterie und werden per Wärmepumpe beheizt.

Jedem Hausboot für sich gelingt es aber nur manchmal, sich komplett selbst mit Strom zu versorgen. Die Siedlung als Ganzes dagegen schafft es fast immer. Möglich macht dieses Energiemanagement eine Zentralsteuerung, die den erzeugten Strom intelligent speichert und verteilt. Sind die Bewohner von Haus A zum Beispiel im Urlaub, während im Haus B eine Party steigt, wird der von A erzeugte Strom zu den Nachbarn umgeleitet. Dabei agiert die Steuerungssoftware vorausschauend: Nicht benötigte E-Autos lädt sie beispielsweise erst dann auf, wenn die Sonne scheint, um Batteriestrom zu sparen. Dank der Steuerung, die das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM entwickelt hat, kommt die Hausbootsiedlung mit einem 137-Kilowatt­Netzanschluss aus. Bei einer Siedlung dieser Größe sind 435 Kilowatt üblich.

Intelligente Netze nehmen den Zufall aus dem System

Der Vorsprung eines Energiemanagement-Systems gegenüber einer herkömmlichen Heizungssteuerung liegt darin, dass es nicht nur die aktuelle Situation berücksichtigt, sondern auch in die Zukunft schaut. „Der Trick besteht darin, den Zufall aus dem System zu nehmen“, erklärt Karsten Schmidt, Gründer der Münchner Firma Ampeers Energy. Sie bietet ein QEMS an, das zum Beispiel eine Wettervorhersage aus dem Internet nutzt, um abzuschätzen, wie viel Solarstrom in den kommenden Stunden zur Verfügung steht. Außerdem sieht sie sich historische Verbrauchswerte an und kalkuliert, wie viel Energie nötig sein wird, um die Wohnungen auf Temperatur zu halten. Aus diesen Informationen kann das QEMS zum Beispiel ableiten, wie viel Strom in Batterien gespeichert werden muss.

Solche Berechnungen können so viele Unbekannten haben, dass die herkömmliche Mathematik an ihre Grenzen stößt. Dann kommen selbstlernende Algorithmen zum Einsatz, landläufig auch als Künstliche Intelligenz (KI) bekannt. Ampeers Energy setzt eine KI ein, die ununterbrochen Prognosen jeweils für die kommenden sieben Tage, 24 Stunden und 15 Minuten erstellt. Diese Berechnungen übernimmt ein externes Rechenzentrum. Ein einzelner PC vor Ort würde allein für die 15-Minuten-Vorhersage länger als 15 Minuten brauchen – in der Cloud ist sie in 20 Sekunden erstellt.
Und was merkt der Mieter von alldem? „Optimalerweise nichts“, sagt Arne Surmann und lacht. Er arbeitet beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und ist für intelligente Netze zuständig. Surmann begleitet derzeit den Aufbau eines CO2-neutralen Quartiers in Kaiserslautern. Auf dem ehemaligen Gelände der Nähmaschinenfabrik Pfaff sollen Wohnungen und Gewerberäume entstehen, die sich komplett selbst mit Energie versorgen.
Der Wissenschaftler erforscht, wie die Mieter bequem und unkompliziert mit dem Energiemanagement-System interagieren könnte. Seine Idee: Jeder Bewohner bekommt eine App, in der er seine persönlichen Energievorlieben einstellen kann. „Man kann zum Beispiel wählen, ob das eigene E-Auto so schnell oder so günstig wie möglich geladen werden soll“, gibt ­Surmann als Beispiel.

Manchen Mietern gefällt diese Aussicht nicht. Sie fürchten, dass künftig im Keller des Wohnhauses eine Art Big Brother sitzt, der jede Betätigung eines Lichtschalters und jede Drehung am Thermostat überwacht. Experten halten solche Befürchtungen für unbegründet. „Bei der großen Zahl von Bewohnern ist der genaue Tagesablauf eines Einzelnen für die optimale Betriebsweise gar nicht relevant“, begründet Experte Luck von IAV. Sprich: Ob ein Mieter in den Urlaub fährt und die Heizung abdreht, spielt bei Hunderten von Wohneinheiten kaum eine Rolle. Auf dieser Ebene sind größere Faktoren entscheidend, zum Beispiel ob ein Feiertag vor der Tür steht, weil dann die Mieter alle zu Hause sind und deutlich mehr Strom verbraucht wird als sonst.

Theoretisch könnte das Hirn der Energieversorgung den Mietern auch beim Stromsparen helfen. Scheint die Sonne, würde es zum Beispiel per App empfehlen, jetzt mit der großen Wäsche zu beginnen. Oder es könnte in den Terminkalender der Bewohner schauen und sie am Tag vor dem Urlaub daran erinnern, die Heizung runterzudrehen. Experte Schmidt hält von solchen Ideen allerdings nichts. „Ein gutes Energiemanagement-System nimmt das Leben der Bewohner als gegeben hin. Niemand sollte sich deshalb einschränken müssen.“



EZZ in Bochum Weitmar
In der gläsernen Energiezentrale stehen Elektrolyseure (links) und Speicher für den regenerativ erzeugten Wasserstoff.

Bochum-Weitmar: Mit Wasserstoff zum Grünen Quartier

Vonovia erforscht das klimaneutrale Wohnen. Im Mittelpunkt steht eine Energiezentrale, die vor allem ein Ziel hat: Selbstversorgung rauf, CO2 runter.

Die Idee klingt faszinierend einfach: Im Sommer wird überschüssiger Solarstrom genutzt, um Wasserstoff herzustellen und zu lagern. Kommt die dunkle Jahreszeit, wird er in einer Brennstoffzelle in Strom und Wärme umgewandelt. Dieses Verfahren testet Vonovia derzeit in einer Wohnanlage im Bochumer Stadtteil Weitmar. In dem zwischen 1959 und 1976 errichteten Quartier wird erforscht, wie klimaneutrales Wohnen aussehen könnte. Kernstück des Pilot­projekts ist eine gläserne Energie­zentrale, die im April 2021 ihren Betrieb aufgenommen hat. Darin befinden sich unter anderem Elektrolyseure, die mithilfe von Solarstrom den Wasserstoff für den Winter erzeugen. Ebenfalls im Einsatz sind Batterien, die ähnlich wie überdimensionale Handy-Akkus funktionieren. „Wir wollen möglichst viel testen, um zu sehen, welche Technologien sich in Zukunft sinnvoll etablieren lassen“, erklärt Tobias Hofmann, der bei Vonovia das Projekt leitet. Neue Wege geht man in Weitmar auch bei der Heiztechnik: Für behagliche Temperaturen sorgen Wärmepumpen, die die Wärme der Umgebung nutzen. Nur für besonders kalte Tage wird ein Gasbrenner vorgehalten.

Das Hirn des Zukunftsquartiers ist ein Computer für das Energiemanagement. Er sorgt dafür, dass Strom, Wärme und E-Fahrzeuge immer optimal aufeinander abgestimmt sind. Dabei verfolgt die Steuerung vor allem ein Ziel: CO2-Ausstoß runter, Selbstversorgungsquote rauf. „Wir rechnen damit, dass wir 30 Prozent des Stroms und 60 bis 70 Prozent der Wärme selbst erzeugen können“, so Hofmann.


EZZ in Bochum Weitmar
In der gläsernen Energiezentrale stehen Elektrolyseure (links) und Speicher für den regenerativ erzeugten Wasserstoff.